Die gute Nachricht: Südwestfalen muss sich angesichts des Bevölkerungsschwundes nicht auf massiven Rückbau in den Städten einstellen. Die schlechte Nachricht: Politik, Verwaltungen und andere Einrichtungen des öffentlichen Lebens müssen sich von Wachstumsvorstellungen verabschieden. „Weiteres Wachstum wird nicht kommen“. Das sagt Dr. Elke Bojarra-Becker vom Deutschen Institut für Urbanistik. Politik und Verwaltungen, Verbände und Bürgerschaft könnten sich nur schwer vom „Wachstums-Paradigma“ verschieden, sagte sie bei der 7. Fachtagung des Arbeitskreises „Demografie – Lebenslanges Lernen“ im Valberter Haus Nordhelle. Der Arbeitskreis, 2010 von der damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Petra Crone ins Leben gerufen, hat es sich zur Aufgabe gemacht, den demografischen Wandel und seine Folgen zu beleuchten. Er stellt sich dem Wandel, zu dem nicht nur die Überalterung der Gesellschaft zählt, sondern auch der Bevölkerungsrückgang in vielen Regionen Deutschlands. Auch Südwestfalen ist davon betroffen.
Problem erkannt – Die Reaktionen fehlen
Dr. Elke Bojarra-Becker stellte bei der Fachtagung am 28. Februar Ergebnisse einer Studie des Instituts für Urbanistik vor. Sie belegte am Beispiel von fünf Städten, zu denen auch Gummersbach zählt, dass Städten und Gemeinden das Problem durchaus bekannt sei. „Aber sie spüren den Handlungsdruck nicht.“
Gerade die Klein- und Mittelstädte in Deutschland müssten sich aber dem demografischen Wandel bewusster stellen, fordert Dr. Elke Bojarra-Becker. „Hier leben 70 Prozent der Gesamtbevölkerung. Gerade die seien von zunehmender Überalterung betroffen. Bereits heute seien 24 Prozent der Menschen in diesen Kommunen über 60 Jahre alt. 2025 würden es schon 31 Prozent sein.
Wissenschaftlerin rät: Jetzt starten
Daraus folge ein steigender Bedarf an seniorengerechtem Wohnraum, stellte die Wissenschaftlerin fest. Sie rät „Jetzt starten.“ Die Umsetzung neuer Projekte dauere erfahrungsgemäß sehr lange.
Es sei besonderes wichtig, früh Wohnraum für „junge Alte“ zu schaffen. Wer rechtzeitig in einer für ihn angenehmen Umgebung leben könne, brauche später mit 80 nicht mehr umzuziehen.
Die Bemühungen des Arbeitskreises ein großes Netzwerk zu schaffen und das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen, bewertete Dr. Elke Bojarra-Becker als vorbildlich. „Sie sind weiter als viele andere.“

„Wohn(t)räume“ für jeden sehen sie anders aus. Das schilderte er blinder Besucher der Fachtagung. Foto: Wolfgang Teipel
Wie schwer aber „Wohn(t)räume – wer, wo, wann, mit wem, wohin was dann?“ so der Titel der Fachtagung umzusetzen ist, verdeutlichte ein blinder Besucher des Treffens im Haus Nordhelle. Während Rollstuhlfahrer große Wohnungen mit breiten Türen wünschten, sei für Blinde wie ihn eine kleine Wohnung sinnvoll, die leicht Orientierung biete. Und wo eine ebenerdige Dusche und breite Türen das Leben erleichtern, hängen für Rollstuhlfahrer möglicherweise die Fenstergriffe zu hoch, um lüften zu können.
Jürgen Weiskirch, verdi-Bezirksgeschäftsführer für den Bereich Siegen-Olpe, wie auf unterschiedliche Interessen der Wohnungsunternehmen hin. „Wie schaffen wir es, dass alle an einem Strang und dann auch noch in die richtige Richtung ziehen?“ fragte er.
Wie könnte es funktionieren?

Ingo Wöste, Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft Werdohl, stellte seine Modelle vom neuen Wohnen im Alter vor. Foto: Wolfgang Teipel
Hier fehlt noch eine Strategie. Wie es funktionieren könnte, schilderte Ingo Wöste, Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft Werdohl, in einem der sechs Workshops. Er hat in Werdohl mit Quartiersmanagement und Nachbarschaftshilfezentren gute Erfahrungen gemacht. Allerdings bedürfe es erheblicher Anstrengungen. „Früher haben wir Wohnungen verteilt. Heute schaffen wir Angebote im pflegerischen und im sozialen Bereich, um uns auf die Veränderungen einzustellen, die der demografische Wandel mit sich bringt.“ Zurzeit existieren in den Ortsteilen Ütterlingsen, Pungelscheid und Königsburg drei solcher Zentren.
Lange in den eigenen vier Wänden leben
Allerdings verhehlte Wöste auch nicht, dass es mühsam gewesen sei, Behörden von seinen Vorstellungen vom neuen Wohnen im Alter zu überzeugen. Er ist sicher, dass wie Quartiersmanagement und Nachbarschaftshilfe dazu beitragen können, dass ältere und auch pflegebedürftige Menschen lange in ihren eigenen vier Wänden leben können. Mehr dazu hier: http://www.woge-werdohl.de/nachbarschaftshilfezentrum.html

Niklas Füchte und Benedikt Göbel von VIRworks aus Münster berichteten darüber, wie Nutzer mit Bauherren und Architekten kommunizieren sollten, um ihre Vorstellungen vom Wohnen umzusetzen. Foto: Wolfgang Teipel
Niklas Füchte und Benedikt Göbel von VIRworks aus Münster berichteten darüber, wie Nutzer mit Bauherren und Architekten kommunizieren sollten, um ihre Vorstellungen vom Wohnen umzusetzen. „Lösungen und Chancen liegen vielleicht in den Prozessen, die der technische Fortschritt und die wachsende Vernetzung mit sich bringen“, sagten die Absolventen der münster school of architecture.
Wohnen und die Integration von Neuankömmlingen war das Thema von Prof. Dr. Sabine Meier und Silvia Mann von der Universität Siegen, Lehrstuhl Räumliche Entwicklung und Inklusion.
Wie es möglich ist, „Lebenslang l(i)ebenswert“ zu wohnen stellte Susanne Tyll (Beratung-Fortbildung-Projektentwicklung) aus Krefeld vor.
Anleitungen dazu, wie aus Träumen fürs Wohnen im Alter ganz konkrete Pläne werden können, lieferte Kathleen Berchter von der VHS Volmetal.
Faszinierende Assistenzsysteme
Die Rolle von technischen Assistenzsystemen und wie sie zur Sicherheit und Selbstbestimmung in der eigenen Wohnung beitragen können schilderte Heike Perszeweski vom Sozialwerk St. Georg. Aus Sicht von Petra Crone war das ein besonders faszinierender Beitrag. „Es ist erstaunlich, welche Möglichkeiten die Digitalisierung in diesem Bereich eröffnet“, sagte sie.
Im April wird der Arbeitskreis die Fachtagung auswerten. Sie ist gespannt. „Das erste Feedback nach der Fachtagung war jedenfalls hervorrgend“, sagte sie. Das Treffen im Haus Nordhelle wurde wieder wie alle vorherigen Tagungen mit Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung organisiert.
Hier einige Fotoimpressionen von der Tagung (Fotos FES und Wolfgang Teipel)